Unabhängiges Kosovo: Menschenrechte vs. Volksrechte

Das Internationale Gerichtshof der UN in Den Haag hat entschieden: das Kosovo, welches 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hatte, verstößt nicht gegen internationales Recht. Das Urteil der 15 Richter hat keine bindende, aber eine Signalwirkung. Schon erhoffen sich Schreiber verschiedenster Zeitungen, Staaten die sich bislang geweigert haben das Kosovo anzuerkennen, mögen zur Besinnung kommen und es Deutschland gleich tun. In keinem Beitrag des Mainstreams wird mal der Versuch unternommen, die Vorteile einer Sezession zu untersuchen oder Vorteile mit möglichen Nachteile abzuwägen. Geht es den Menschen nach einer erfolgreichen Abspaltung besser, werden die internationalen Beziehungen vereinfacht wenn ein weiterer Akteur die internationale Bühne betritt? Genau deswegen hatte man Serbien anno 1999 angegriffen. Der Umstand einer erfolgreichen Staatengründung scheint die Öffentlichkeit mehr zu beschäftigen, als eine kritische und hinterfragende Analyse der reellen Verhältnisse vor Ort. Wie falsch die Einschätzung (der meisten Redaktionen) manchmal liegen kann, zeigt auf eindrucksvolle und blutige Weise der Afghanistan-Einsatz. Anfangs noch als friedenssichernde Mission bezeichnet, kam schließlich auch von und zu Guttenberg nicht um den Terminus Krieg herum. Das Recht von Sprachgruppen an einem eigenen Staat (hier als Volksrecht bezeichnet) scheint das Menschenrecht einzelner Individuen zu überlagern.

Friedenssichernde UN-Missionen- immer eine gute Sache?

Bislang ist die internationale Schutztruppe länger in Afghanistan, als es die Sowjetunion seinerzeit war. Zwar äußern westliche Politiker (auch Bundesaußenminister Westerwelle) die Hoffnung, 2014 die Sicherheit an afghanische Behörden abtreten zu können, fraglich bleibt dieser Plan dennoch. Das erklärte Ziel einer Schaffung von demokratischen Verhältnissen in Afghanistan scheint nicht realisierbar, die westlichen Staaten bedienen sich fragwürdiger Gruppen (Stichwort Nordallianz oder Karsai) und geben sich mit bestehenden Verhältnissen ab. Die Unterdrückung der Hälfte der Bevölkerung, also der der afghanischen Frauen, würde jeden Kriegseinsatz berechtigen. Doch kein Staat und keine Zeitung findet die Situation der Frauen erwähnenswert, vielleicht aufgrund fehlender Alternativen. Der Eingriff westlicher Staaten im Namen der Demokratie hat in diesem Fall nicht den versprochenen Erfolg eingebracht, im Gegenteil, Bilder von heimkehrenden ISAF Soldaten in Särgen gehören auch in Deutschland (bald?) zum gewohnten Bild.

Universelle Menschenrechte

Menschenrechte wurden schon in der Antike diskutiert, Frauen und Sklaven waren hiervon selbstverständlich ausgenommen. In der Zeit der Aufklärung waren es Philosophen wie Rousseau, Hobbes oder Kant, die die Rechte der Menschen gegenüber den Autoritäten diskutierten. Eine wirkliche Umsetzung der Menschenrechte wurde 1776 in der Unabhängigkeitserklärung der USA, und dann 1789 in der Französischen Revolution realisiert. Die Menschenrechte deklarieren in erster Linie die Rechte von Menschen gegenüber dem Staat, eine willkürliche Behandlung wird kodifizierend unmöglich gemacht. Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden die Menschenrechte in den Landesverfassungen, auf internationaler Ebene in diversen Konventionen (Genfer Flüchtlingskonvention, UN-Kinderrechtskonvention etc) festgehalten. In Europa gilt zusätzlich die Europäische Menschenrechtskonvention. In keiner dieser Konventionen wird das Recht einer ethnischen Gruppe auf einen eigenen Staat proklamiert, und das zu Recht. Denn dieses „Volksrecht“ mag zwar hier und da gängige Praxis der internationalen Politik sein, hat aber mit Menschenrechten nichts zu tun, denn das Menschenrecht ist ein Individualrecht (Recht auf Leben, auf Meinungsfreiheit etc). Das Menschenrecht muss zudem von Staaten respektiert und geschützt werden, so lauten sämtliche Formulierungen. Doch das „Volksrecht“ bricht in den meisten Fällen das Menschenrecht, verwundert? Dann schauen wir uns den emotionalen Israel-Palästina Konflikt an.

Ein Paradebeispiel Volksrecht vs. Menschenrecht

Der Palästina-Konflikt ist eine schwerwiegende und verworrene Situation. Um dieses Problem zu erläutern, ist es ein Versuch wert, sich von Emotionen zu lösen (böses Israel, islamistische Hamas etc). Im abgeriegelten Gaza-Streifen wurde die Hamas in demokratischen Wahlen zur Regierungspartei auserkoren. Das „Volksrecht“ besteht regelrecht darauf, dass der Gaza-Streifen (bzw. inklusive Westbanks) einen unabhängigen Staat ausrufen darf. Blöd nur, wenn dieses „Volksrecht“ ein Anderes verletzt, zumindest so lange, wie die regierende Hamas das Existenzrecht Israels nicht anerkennt und garantiert. Genauer betrachtet beflügelt das praktizierte (aber längst nicht kodifizierte) „Volksrecht“ diesen Konflikt, beide Parteien berufen sich auf die Selbstverwirklichung durch Staat-Sein. Bei Anwendung der Menschenrechte ergibt sich ein ganz anderes Bild. Israel verletzt die Menschenrechte der Gaza-Bevölkerung (Bewegungsfreiheit, von Zeit zu Zeit Recht auf Unversehrtheit), die Hamas ist aber auch kein Kind von Traurigkeit. Bei konsequenter Anwendung ihrer Parteiprogrammatik ergäben sich Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, Homosexuellen und Andersdenkenden. Auch das Recht auf Unversehrtheit der israelischen Bevölkerung wird von Zeit zu Zeit verletzt, so weit eben die Raketen der Hamas reichen. Dennoch ergeben sich eurozentristische Medien in Beistandsbekundungen für die eine oder andere Seite. Dieselben Medien schweigen aber in der Regel über die Millionen von Gastarbeitern aus Asien, die momentan Dubai und Co. mit dem Einsatz ihrer Knochen verschönern, und nicht mal eine Idee von Menschenrechten haben dürfen, von den Frauen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten ganz zu schweigen.

Menschenrechte sind eben doch käuflich!

Wie nennt man die Akteure, die im Kampf um einen eigenen Staat U-Bahnhöfe, Wasserkraftwerke oder ganze Schulen in die Luft jagen? In Russland nennt man diese Terroristen, in den westlichen Medien heißen diese in der Regel „Freiheitskämpfer“. Die wichtigsten tschetschenischen „Freiheits“-organisationen erklären die Errichtung eines  islamischen Emirats zum Ziel, bedeutet nach ihren eigenen Vorstellungen Menschenrechtsverletzungen am laufenden Band; beileibe keine Eigenart der islamischen Religion, sondern eben bedingt durch eine Theokratie (bei genauerer Betrachtung verletzt der Vatikan ständig und institutionalisiert die Menschenrechte). Wie können also Medien, die ebenso dem Menschenrecht unterworfen sind, solche Akteure als Freiheitskämpfer bezeichnen? Weil ihre Interessen sie eben so leiten. Ein Dalai Lama ist im Westen ein Freiheitskämpfer, in China kann er nur ein Terrorist sein. Also ist der Blickwinkel entscheidend, ob man jemanden als Freiheitskämpfer oder Terroristen bezeichnet, es gibt also keine objektive Wahrheit, aber ein existierendes und zu schützendes Menschenrecht. Ob eine Menschenrechtsverletzung mit einer weiteren Verletzung beantwortet werden darf (Unterdrückung der Bevölkerungsgruppe X, Anschlag aus dieser auf Unterdrücker Y), bleibt einer weiteren Diskussion überlassen.

Das Recht auf Staatengründung- die Welt in Blut ertränken

Die allerwenigsten Staaten weisen eine einheitliche Bevölkerung auf, Beispiel Indien. In Indien werden über 100 verschiedene Sprachen gesprochen. Gesteht man jeder Sprachgruppe einen eigenen Staat zu, sind Kriege vorprogrammiert. Ganz Afrika wurde an europäischen Tischen mit Staatengründungen beglückt, sollte jede Sprachengruppe einen Staat haben wollen, wird das Ausmaß der Katastrophe AIDS, Dürren und Hungersnot verblassen lassen. Die Forderung nach Staaten für Bevölkerungsgruppen, die eine Unabhängigkeit fordern, vielmehr das Zugeständnis solcher Forderungen, sind ehrlich gesagt völkische Betrachtungen. Ein Großteil der Bevölkerung des Sudetenlandes begrüßte die „Heimholung“, und müsste nach „Volksrecht“ auch genehmigt werden. Was aber mit den Ungarn, die in Serbien, Rumänien etc. leben? Der ungarische Staat stattet diese Menschen mit einem ungarischen Pass aus, sieht so eine Völkerverständigung aus, oder sind Konflikte für die Zukunft vorprogrammiert? So ließe sich diese Liste an Beispielen wahrhaftig endlos fortsetzen.

Und das Kosovo?

Wann ist ein Staat ein Staat? Vereinfacht gesagt, wenn ein Staat zum einem nach Innen eine gewisse und kodifizierte Ordnung aufrecht erhält (z.B. in Somalia nicht der Fall), und gleichzeitig wenn dieser Staat von anderen Staaten als solcher akzeptiert wird. Die Republik Somaliland erfüllt die erste Bedingung, wird aber nicht anerkannt. Warum aber das wesentlich kleinere Kosovo? Gibt es also gewisse Interessen, Objekte derselben Natur unterschiedlich zu bewerten? Ja es gibt sie, und werden an dieser Stelle nicht erläutert. Das Kosovo kann momentan keine Ordnung nach Innen aufrecht erhalten, Banditentum, Zwangsprostitution und Drogenhandel sind wesentlich stärkere innenpolitische Kräfte, als die Regierung von Thaci. Nach Außen erkennen 22 Staaten der EU das Kosovo an, Spanien z.B. nicht. Spanien hat nicht nur das Problem der separatistischen Basken, auch Katalanen und Gallizier fühlen sich wenig verbunden mit der Zentralregierung. Hat Spanien also unrecht, Deutschland aber Recht?

Bei nüchterner Betrachtung des Kosovos kommt man zum folgenden Fazit: Kriegsgrund war die Vertreibung der albanischen Bevölkerung, nach Kriegsende wurden dafür Serben, Sinti, Bosniaken etc vertrieben. Das Kosovo hängt am Tropf der EU und kann nicht mal aus eigener Kraft eine innenpolitische Administration aufweisen. Die Menschenrechte werden reihenweise durch den „Staat“ Kosovo verletzt, indem die Minderheiten nicht geschützt werden. Menschenrechtsverletzungen von kriminellen Organisationen können nicht geahndet werden, weil kosovarische Interessen diese nicht verfolgen wollen oder können. Bei genauerer Betrachtung unterliegt das Menschenrecht dem „Volksrecht“, und es steht zu befürchten, dass ein freies Tibet (Kurdistan, Uiguristan und so weiter und so fort) keine unmittelbare Verbesserung der Menschenrechte nach sich zieht. Daher kann die Schlussfolgerung nur lauten, weg mit dem „Volksrecht“, her mit dem Individualrecht der Menschenrechte!

1 Comment
  1. Aufruf zur Antikriegsdemonstration zum Qudstag
    am Samstag, den 4. September 2010

    Treffpunkt: 14.30 Uhr am Adenauerplatz
    Wegstrecke ab 15.00 Uhr: über Kudamm, Joachimstaler Strasse, Kantstrasse bis Savigny-Platz (Abschlusskundgebung)

    Der Weltkrieg ist voll im Gange, was nun?

    den neuen Teil des dritten Weltkrieges gegen den Iran verhindern und die laufenden Teilkriege beenden!
    Terror und Gewalt stoppen, Vertrauen und Frieden verbreiten!
    Hass und Feindschaft bekämpfen, Vernunft sprechen lassen!
    Die kriegstreibenden Politiker/innen abwählen. Die Demokratie retten!
    Vor allem Millionen Menschenleben retten!

    Die Antikriegsdemonstration am Qudstag ist der Marsch für den Frieden. Die „Herren der Welt“ suchen anscheinend, nach alten Rezepten aus denm 20. Jahrhundert, den Ausweg aus der selbstverschuldeten Krise in dem Krieg. Die Vernunft sagt uns, dass die Wirtschaft dem Wohlstand und das Militär der Sicherheit für die Menschen dienen soll. Aber wenige tausend unter uns 6,5 Miliarden Menschen verfügen unberechtigter Weise über den größten Teil der materiellen Macht.
    Seien es Politiker, Staatsmänner u. Staatsfrauen oder die Mächtigen der Wirtschaft. Sie scheinen fest entschlossen, schrittweise einen dritten Weltkrieg mit Millionen von Toten und weiteren verheerenden Folgen zu führen.
    Ein Krieg, der schon 2001 begann und ettapenweise fortgeführt wird. Afghanistan, Irak, Libanon, Palästina, Pakistan, Jemen, Sudan und nun Iran.
    Was für ein Zufall, dass alle Teilkriege vom Westen, also von den „freiheitlich demokratischen“ Staaten und ihrem Vorposten in der islamischen Welt, nämlich von Israel, ausgehen. Wiederum rein zufällig wird Krieg gegen die islamischen Länder geführt! Sind wir schon bei der Inszinierung der „Clash of civilizations“?
    Oder befinden wir uns bereits mitten in den neuen, modernen Kreuzzügen? Dabei ist eins sicher: der erste Verlierer des dritten Weltkrieges ist die Demokratie, die dem blutigen Wahnsinn der Mächtigen geopfert wird.
    Wir dürfen unser eigenes Schicksal und das der gesamten Menschheit nicht den bösen Kriegstreibern überlassen!
    Aus diesem Grunde appelieren wir an alle Buergerinnen, sofern sie noch bei gesundem Menschenverstand sind und nicht von den Medien verzaubert wurden,
    an der diesjährigen Qudsdemonstrationen in Berlin teilzunehmen

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