Proteste gegen Castor-Transport- business as usual ?

Angela Merkel stoppte den Transport von abgebrannten Brennelementen in den so genannten Castor-Behältern, als bekannt wurde, dass der Grenzwert für die Abstrahlung der Behälter überschritten wurde. Der gesetzlich festgelegte Grenzwert, genauer der Maximalwert der so genannten Oberflächendosisleistung, liegt bei 0,35 Millisievert, pro Stunde wohlgemerkt.

Die gesetzlich empfohlene Maximalbelastung liegt bei 2,5 mSievert, pro Jahr; d.h. ein Polizist, der sieben Stunden und wenige Minuten neben einem Castor-Behälter mitläuft, hat im Grunde mehr vor dem zu schützendem Objekt zu befürchten, als vor gewaltbereiten Demonstranten. Nun haben aber physikalische Abläufe in der Natur ein ganz großes Manko, sie halten sich ungern an gesetzliche Auflagen.

So geschehen im Frühjahr 1998, als Merkel in ihrer Funktion als Bundesumweltministerin die Castor-Transporte aussetzen musste, weil der erwähnte Grenzwert überschritten wurde. Schlagbefugte Polizisten gegen schlagbereite Demonstranten, Business as usual: doch dieses Jahr ist der Gegenwind deutlich schärfer, was nicht zuletzt an der desolaten Energiepolitik der amtierenden Bundesregierung liegt, der Ausstieg vom Ausstieg hat deutlich mehr Kräfte der Umweltaktivisten mobilisiert, als der Polizei (die die Suppe der Politik auslöffeln muss) lieb sein kann.

Die Frage nach Sinn oder Unsinn der atomaren Energiegewinnung dürfte sich für einen gesunden Menschenverstand eigentlich nicht stellen, so lange man nicht weiß, wohin mit dem Müll. Das Iod-Isotop 129 hat eine Halbwertszeit von 15,7 Millionen Jahren (und wird dankend von jeder menschlichen Schilddrüse im Körper gelagert), der Homo Sapiens existiert maximal seit 300.000 Jahren.

Das Plutonium-Isotop 239 hat immerhin eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, die ältesten städtischen Kulturen der Menschheit datieren auf frühstens 10.000 v.Chr. Dies sind nur einige der Abfallprodukte. Während Politiker sich nicht zu schade sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Sparmaßnahmen mit einem Blick auf kommende Generationen zu begründen, verursachen die AKWs dieser Welt 12.000 Tonnen Atommüll jährlich, mit aberwitzigen Halbwertszeiten.

Ein gesunder Menschenverstand benötigt keinen Super-GAU a la Tschernobyl, oder beinahe Kernschmelze (Three Mile Island, Pennsylvania USA 1979 oder Tōkai-mura, Japan 1999), um diese Technik als zu schmutzig und zu ineffizient zu betrachten. Es gibt keinen einzigen Ort auf diesem Planeten, der entsprechend der irrwitzigen Halbwertszeiten auch nur annähernd in der Lage wäre, diesen Giftmüll sicher zu beherbergen. Ein einzelner Schritt, und alle Menschen wären in Deutschland gegen die Atomwirtschaft; jedes Energieunternehmen muss die Folgekosten bei der Produktion tragen, diese Kosten werden an die Endverbraucher weitergegeben.

Die Ausnahme: Atommüll wird von der Staatskasse getragen, würde man die Folgekosten auf die Endverbraucher übertragen, wäre Atomstrom deutlich teurer als alles Andere.

Die Anti-Castor Aktivisten unternehmen nahezu alles, um den Transport nach Gorleben zu unterbrechen. Sie „schottern“ (beschädigen die Gleisanlagen, um eine Weiterfahrt zu verhindern), sie stellen sich quer, sie blockieren und ketten sich an, kurzum sie versuchen ihr Anliegen mit allen friedlichen bishin zu weniger friedlichen Mitteln zu verwirklichen.

Auf der Gegenseite muss die Polizei das Schottern verhindern, die Gleise freihalten, angekettete Menschen loseisen und den Transport gewährleisten, kurzum sie machen ihren Job mit allen verfügbaren Mitteln, zur Not eben mit Gewalt (Prügelstock, Reizgas, Pfefferspray, Wasserwerfer).

Die Organisatoren der Blockaden wissen, dass sie keineswegs den eigentlichen Transport verhindern können, ihr Kalkül richtet sich eher darauf, dass die Polizeieinsätze zu teuer werden und der Protest schliesslich auch in Wahlergebnissen sich niederschlägt. Auch wenn der Zug heute Abend in Dahlenburg außer Plan anhalten muss, spätestens am morgigen Tag wird der Zug Gorleben erreichen.

Zu dem Aktionsbündnis der Anti-Castor Blockade gehören u.a. Gruppierungen wie die Grüne Jugend, NAJU, BUND, Attac, IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), Jusos Bundesverband und „Brot und Rosen“ (Diakonische Gemeinschaft aus Hamburg), mitnichten also nur linksextreme Gruppen. Der Protest gegen die Castor-Transporte, eigentlich gegen den atomaren Kreislauf der Wiederaufbereitung, reicht tief bis in die Mitte der Gesellschaft.

Während also Menschen in Gorleben und Umgebung mit ehrlicher Intention auf die Straße gehen, scheinen sich die Medien auf Eskalationen zu freuen. Stern-Online läßt gar einen Live-Ticker laufen, als ob die Blockade einem Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft gleich käme.

Im Gegensatz zu früheren Castor-Blockaden scheinen aber die Organisatoren die Macht der Bilder inzwischen richtig einzusetzen. Im Chaos kommt es mitunter vor, dass ein Journalist vor Ort dieselbe Behandlung bekommt, wie ein Demonstrant, auf den eingeknüppelt wird. Fakt ist, dass die Medien ihren Anteil beitragen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Castor-Blockade zu lenken. Zweifelhaft, ob die Konzerne sich davon beeindrucken lassen, eine wirksamere Methode zur Aufklärung der Bevölkerung fängt am besten am Portemonaie an, nämlich dann, wenn die Folgekosten der Atomwirtschaft auf den Kilowattpreis übertragen werden.

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