Verfassungsrichterin plädiert für mehr Volksentscheidungen

Die Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt plädiert für mehr direkte Demokratie und mehr Mut der Politik gegenüber Volksabstimmungen. „Eine Entfremdung zwischen den Bürgern und ihren Repräsentanten greift Platz. Sie äußert sich in Wahlenthaltung wie im wachsenden Protest. Dabei erschallt der Ruf nach mehr direkter Demokratie immer lauter“, schreibt sie in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ (Freitagausgabe).

„Die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ist nicht das einzige Beispiel für solches (Auf-)Begehren, das Anlass gibt, über mögliche Defizite unserer demokratischen Willensbildung nachzudenken. Immerhin sprechen sich 65 Prozent der Bürger für mehr Volksabstimmungen aus und sind der Meinung, diese führten zu einer Verbesserung der Demokratie“. Hohmann-Dennhardt erklärt weiter, das Volk wolle die Gewalt, die vom ihm ausgehe, öfter zu sich zurückholen. „Es will mehr Demokratie in direkter Form wagen. Doch vor solchem Wagnis schreckt die Politik in weiten Teilen zurück und warnt vor Bürgereinmischung, die, so der Tenor, die Handlungsfähigkeit des politischen Systems massiv beeinträchtigen könnte.“ Doch die Bürger forderten nicht die Abschaffung des Parlaments, betont die Verfassungsrichterin, sondern lediglich eine Ergänzung der politischen Willensbildung durch Volksabstimmungen.“ Wer regiere, wolle sich ungern in die Karten schauen und die Bürger beim politischen Pokern mitmischen lassen. „Doch dies könnte sich als kurzsichtig erweisen, denn Volksabstimmungen zur rechten Zeit können hilfreich sein. Sie lenken erhitzte Kontroversen in geordnete Bahnen und können verhindern helfen, dass die Vertrauensbasis weiter schwindet, auf der die parlamentarische Demokratie fußt. Auch trifft zwar zu, dass Bürger zum Beispiel bei Standortfragen, ob es nun um Kraftwerke oder Gefängnisse geht, oft abwinken. Doch die Durchschlagskraft von Eigennutz gegenüber Belangen der Allgemeinheit nimmt ab, je größer der Kreis derer ist, die abstimmen dürfen. Und geregelt werden kann, dass etwa das Haushalts- oder das Steuerrecht nicht der Volksabstimmung unterliegt und Volksentscheidungen, die der Verfassung zuwiderlaufen, nicht zugelassen werden.“ Hohmann-Dennhardt fragt, ob die Reputation des Parlaments und der Regierung in Gefahr seien, wenn parlamentarische Entscheidungen per Volksabstimmung zunichtegemacht würden. Das sei schon möglich. „Will die Politik aus dieser Zwickmühle herauskommen, hilft ihr nicht, Bürgerentscheide in die Schmuddelecke zu stellen. Sie täte vielmehr gut daran, die Bürger durch Offenlegung von Fakten und Überzeugungsarbeit früher in ihre Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das wäre des Schweißes der Edlen wert. Wie viel direkte Demokratie sein darf? So viel, wie die Bürger sie nachfragen.“

Diese Meldung aus Kalrsruhe wurde am 12.11.2010 um 01:00 Uhr mit den Stichworten DEU, Wahlen, Proteste, Justiz übertragen.

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